Via Martin Stark:

 

Workshop vom 11.-12. Mai 2017, Humboldt-Universität zu Berlin
Fachtagung vom 16.-18. November 2017

http://www.hsozkult.de/event/id/termine-32890

Autoren machen keine Bücher. Roger Chartier hat in seinen kulturhistorischen Studien wiederholt darauf hingewiesen, dass Autoren auch des 18. Jahrhunderts keine Bücher schreiben, nicht einmal ihre eigenen. Bücher werden nicht geschrieben, sondern gemacht; gemacht werden sie nicht von ihren Autoren selbst, sondern von einem komplexen Netzwerk an Verlegern, Setzern, Druckern und Buchbindern. Autoren schreiben Chartier zufolge lediglich Texte, die sich erst in einem übergreifenden ökonomisch-betrieblichen Sozialzusammenhang zu Büchern materialisieren. Was aber wäre, wenn nicht erst das verlegte Buch, sondern bereits der autorschaftliche Text das Ergebnis von komplexen sozialen Beziehungsgefügen wäre, die sich als Netzwerke beschreiben ließen? Autoren machen, so die Hypothese, alleine auch keine Texte.

In der literaturwissenschaftlichen Forschung zum 18. Jahrhundert hat das Konzept des „Netzwerks“ in jüngerer Zeit immer wieder Verwendung gefunden. „Netzwerke“ dienen dort meist als analytische Kategorie, um die strategischen und pragmatischen Aspekte der Zusammenarbeit von literarischen Akteuren in den medialen Infrastrukturen des 18. Jahrhunderts zu beschreiben und eine in der Aufklärungsepoche beobachtbare Verdichtung und Ausweitung der kulturellen Kommunikationsverhältnisse zu erfassen. Auffällig ist allerdings, dass die Beobachtungskategorie des „Netzwerks“ in literaturwissenschaftlichen Studien weitgehend metaphorisch gebraucht oder aber auf ihre Verwendung im Rahmen von quantitativ verfahrenden Rekonstruktionen reduziert wird. Damit sind die Potenziale und Anwendungsfelder soziologischer Netzwerktheorien aber erst ansatzweise ausgelotet.

Gerade im Bereich der qualitativen Untersuchung von literarischen Netzwerken hat die Forschung zum 18. Jahrhundert bislang nicht viel vorzuweisen, obwohl jüngere Studien aus dem Bereich der relationalen Soziologie dafür eine gute Basis bieten würden. Ihre Grundannahme, dass soziale Relationen und Praktiken scheinbar stabilen Entitäten wie Subjekten oder Gruppen vorausgehen, scheint gerade für Fragen nach literarischer Autorschaft im 18. Jahrhundert ein äußerst vielversprechender methodischer Ansatzpunkt zu sein. Dabei soll das Forschungsinteresse nicht nur der Frage gelten, wie Autoren literarische Texte in etablierte publizistische Netzwerke einspeisen, sondern wie diese Texte überhaupt erst im Kontext bestimmter sozialer Relationen entstehen. Auf diese Weise kommen Autorschaft als kollektiver kreativer Vorgang und Textualität als soziales Beziehungsmodell in den Blick, an denen immer mehrere Akteure – Familie, Freunde, Herausgeber, Kritiker, Patrone – von Anfang an mehr oder weniger direkt beteiligt sind. Wenn in der Forschung relationale Autorschaft bisher überhaupt genauer untersucht wurde, so nur hinsichtlich des Sonderfalls einer kollaborativen Zusammenarbeit weniger Akteure mit gemeinsamen Interessen und Intentionen (z.B. literarische Gruppen). Unser Frageinteresse ist breiter: Es richtet sich darüber hinaus auf Koordinationsformen, die sehr viel zerstreuter, weniger abgestimmt und möglicherweise nicht einmal gewollt sind.

Im Rahmen eines Theorieworkshops, der vom 11.-12. Mai 2017 in Berlin stattfindet, sollen zunächst die bisherigen Ergebnisse der literaturwissenschaftlichen Netzwerkforschung zum 18. Jahrhundert und zentrale Konzepte der jüngeren relationalen Soziologie diskutiert werden. Dazu erhalten die Teilnehmer des Workshops vorab einen Reader mit einschlägigen Theoriebeiträgen. Alle Teilnehmer werden gebeten, jeweils einen der Theorietexte auszuwählen und in einem kurzen Impulsreferat (10 bis 15 Minuten) vorzustellen. In der anschließenden gemeinsamen Diskussion können neben theoretischen und methodischen Fragestellungen auch bereits Bezüge zu eigenen Projekten bzw. zur Literatur des 18. Jahrhunderts hergestellt werden. Der Workshop dient als Vorbereitung einer Tagung, die unter dem Titel Werke im Netzwerk. Relationale Autorschaft im 18. Jahrhundert vom 16.-18. November 2017 stattfinden soll. Auf der Basis der im Workshop geführten Diskussionen wird sich die Tagung im Rahmen von historischen Untersuchungen mit den Formen relationaler Autorschaft und sozialer Textualität im 18. Jahrhundert befassen.

Für beide Veranstaltungen sind jeweils noch drei Teilnehmerplätze offen. Bewerbungen mit biobibliographischen Angaben und einer Projektskizze, die sich in dem vorgestellten theoretischen Problemzusammenhang situiert, bitten wir bis zum 28. Februar 2017 an erika.thomalla@hu-berlin.de zu senden.

Organisation: Carlos Spoerhase, Erika Thomalla, Steffen Martus