For those of you who speak German and have an interest in covert networks. Note that the deadline is 12 August.

 

Workshop, CfP
Geheimdienste: Netzwerke, Seilschaften und Patronage in nachrichten- dienstlichen Institutionen

Ort: Kleine Synagoge, Erfurt, An der Stadtmünze 4, 99084 Erfurt

Datum: 4.–6. September 2014

Veranstalter: Eva Jobs, Philipps-Universität Marburg
Dr. Gerhard Sälter, Unabhängige Historikerkommission zur Geschichte des BND, Philipps-Universität Marburg

Deadline: 12.8.2014

Geheimdienste gehören in Deutschland noch kaum zu den Gegenständen seriöser historischer Forschung. Das hat erstens damit zu tun, dass solche Dienste, unabhängig davon, ob sie im In- oder Ausland tätig sind, noch nicht lang existieren. Geheimdienste als behördlich ausge- bildete, dauerhaft auch in Friedenszeiten bestehende und spezialisierte Machtapparate sind ein Produkt des 20. Jahrhunderts. Sie haben sich in den meisten Staaten erst im zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg voll herausgebildet. Ein zweiter Grund ist im beschränkten Aktenzugang zu sehen, der sich erst Ende des 20. Jahrhundert zu verbessern begann. Drittens schließlich hat die Aura des Geheimnisses, mit dem sich die Dienste umgaben, im öffentlichen Raum einen Nebelschleier aus Legenden, Mythen und Verschwörungstheorien produziert, den in distanzierter und kritischer Annäherung zu durchdringen bisher wenig erfolgversprechend schien.

Jedoch hat sich durch die Diskussion über die personellen Kontinuitäten verschiedener Diens- te zum Nationalsozialismus – nicht nur in Deutschland – und die öffentliche Debatte über den Grad der Überwachung die Situation geändert. Die Öffentlichkeit zeigt größeres Interesse an sachgerechten Informationen und eine international veränderte Gesetzgebung führt langsam zu einem verbesserten Aktenzugang. Zudem sind nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in den daraus entstandenen demokratischen Staatswesen die Akten der kommunistischen Ge- heimdienste zugänglich geworden sind. Deshalb hat sich in verschiedenen Disziplinen eine seriöse Forschung zur Struktur und Arbeitsweise von Geheimdiensten etablieren können.

Das entstehende Forschungsfeld ist jedoch bisher kaum in Umrissen erkennbar. Die zunächst festzustellende Konzentration auf Struktur- und Politikgeschichte scheint langsam zugunsten einer Erweiterung der Fragestellungen aufgegeben zu werden. Bestehende Desiderate sind unter anderem theoretische Überlegungen zur Situierung der Dienste in Staat und Gesell- schaft, etwa im Umfeld der Geschichte der internationalen Beziehungen, der Militärgeschich- te, der Geschichte der Demokratisierung Europas und der Entwicklung von Staatlichkeit. Au- ßerdem sind die Aufnahme von Modellen der Diskursanalyse und die Integration von Fragen nach Geschlechterrollen, Habitus, Ritualen oder Performanz wünschenswert. Darüber hinaus fehlen methodische Überlegungen zum Aussagewert der speziellen Quellenüberlieferung von Geheimdiensten und zur Möglichkeit ihrer Kontextualisierung durch andere Quellen.

Innerhalb dieses unübersichtlichen Forschungsfeldes wendet sich der Workshop der Frage nach der Rolle von Netzwerken, Seilschaften und Patronage in Geheimdiensten zu. Ihre Exis- tenz konterkariert die in den meisten Diensten angestrebte doppelte Abschottung: intern der verschiedenen Dienstzweige und Diensteinheiten voneinander und nach außen gegenüber den Gegnern und der Öffentlichkeit. Informelle persönliche Beziehungen, die diese Abschottung durchbrechen, können die Geheimhaltung von Strukturen, Methoden und Personen unterlau- fen und das angestrebte Monopol geheimer Informationen gefährden. Sie stellen für die Dienste zunächst einmal eine Gefährdung der Sicherheit dar. Aus der Forschungsperspektive kann diese scheinbare Dysfunktionalität allerdings einen Zugang zu den inneren Mechanis- men eines Geheimdienstes bilden, weil der Normbruch Material hervorbringt, in dem sich die Folie der meist ungeschriebenen Normen abzeichnet. Solche auf Dauer gestellten informellen Beziehungen können jedoch zur Normalität jeder Organisation und Institution gehören.

Angehörige von horizontal und vertikal strukturierten Netzwerken können Patronage bei der Besetzung von Stellen ausüben, sich als Seilschaft gegenseitig beim Aufstieg in der behördli- chen Hierarchie unterstützen, sich untereinander mit Informationen versorgen und Machtkon- flikte nach außen und innen gemeinsam austragen. Dadurch können sie Machtpositionen er- ringen und bis zu einem gewissen Grad die regulären Dienstwege der offiziellen Hierarchie umgehen. Sie können eigenständig Informationen nach außen weitergeben und dadurch Ein- fluss auf politische Entscheidungen innerhalb und außerhalb ihres Dienstes gewinnen. Dabei scheint wichtig zu sein, dass solche Netzwerke nicht hur innerhalb eines Dienstes bestehen, sondern sich über diesen hinaus in staatliche Behörden, Parteien, Medien nicht nur des eige- nen Landes erstrecken können.

Willkommen sind Beiträge, die Fragen nach den Entstehungsbedingungen, den Handlungs- mustern und den Konsequenzen von Netzwerkbildung in Geheimdiensten stellen:

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Wie und warum entstehen Netzwerke und was hält sie zusammen? Kollektive Macht- strategien, Ideologie und Feindbilder, Opportunismus und gegenseitige Abhängigkeit und männerbündlerische Vorstellungen einer Kampfgemeinschaft wären hierbei zu be- schreiben.

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Welcher Mittel bedienen sich Angehörige eines Netzwerkes, um ihren kollektiven Aufstieg in der Hierarchie zu bewerkstelligen? Können sie Einfluss auf die Personal- politik gewinnen? Bestehen Unterschiede zu anderen staatlichen Organisationen und worin liegen diese?

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Welchen Einfluss haben Netzwerke und Seilschaften auf Entscheidungsprozesse und welche Konsequenzen zeitigt das? Können sie Entscheidungskompetenzen innerhalb eines Dienstes bündeln und dadurch seine politische Ausrichtung beeinflussen?

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Setzen sich solche Netze bis in die Ebene der V-Leute und Informanten fort und wel- che Konsequenzen hat das für die Qualität der beschafften Informationen? Kann man damit Einfluss auf die politische Tendenz der Informationen gewinnen, die nach außen weitergegeben werden? Gibt es Strategien, solche Effekte durch kluges Informations- management auszugleichen?

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Können Netzwerke durch gezielte Akkumulation und Weitergabe von Informationen die politische Tendenz von Entscheidungsträgern außerhalb des Dienstes beeinflussen? Welche Konsequenzen hat es darüber hinaus, wenn Vernetzungen sich aus einem Dienst nach außen fortsetzen, z.B. in Behörden oder politische Parteien, die sie an ih- rem Wissen partizipieren lassen? Welche Gegenleistungen werden erwartet und gege- ben?

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Stützen solche Netzwerke die Funktionalität eines Dienstes oder wirken sie eher dys- funktional? Gehören sie vielleicht gar zur den Charakteristiken eines Geheimdienstes?

Diese Fragen zielen darauf ab, genauer zu bestimmen, welche Dimensionen Netzwerkbildung innerhalb von Geheimdiensten annehmen kann. Eine Verbindung mit den angesprochenen theoretischen und methodischen Problemen der Geheimdienstforschung ist wünschenswert, aber auch empirische Studien sind willkommen.

Der Workshop ist interdisziplinär und international angelegt und wendet sich an alle For- schenden, die an Themen aus dem weiteren Feld der Geheimdienste arbeiten. Sie richtet sich besonders an junge Wissenschaftler. Die Tagungssprachen sind deutsch, englisch und franzö- sisch. Über das Tagungsthema hinaus soll der Workshop den wissenschaftlichen Austausch in einem Forschungsfeld, das kaum erschlossen ist, befördern und Ansätze für dauerhafte Dis- kussionszusammenhang schaffen.

Leider können die Organisatoren im Moment keine Zusicherung für die Übernahme der Rei- se- und Übernachtungskosten für die Referenten machen; wir bemühen uns aber um eine Fi- nanzierung.

Kurze Proposals werden bis zum 12. Aug. 2014 erbeten an: Eva Jobs: eva2n@hotmail.com
Dr. Gerhard Sälter: G.Saelter@t-online.de

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