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Teilhabe - Macht - Kritik: Zur Widerständigkeit relationalen Denkens. Sommerakademie

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Ausgehend von einer „Ökologie der Praktiken“, wie sie die belgische Philosophin und Wissenschaftstheoretikerin Isabelle Stengers charakterisiert, und einer Theorie der „Enteignung“, verstanden im Sinne einer Empfänglichkeit, wie sie Judith Butler und Athēna Athanasiou entwerfen, sollen in der Sommerakademie Fragen der Teilhabe, des Widerstands, der Widerständigkeit, der Politik und Ethik thematisiert werden. Stengers sowie Butler und Athanasiou können (und sie werden es auch) als VertreterInnen zweier divergenter Theoriepositionen dargestellt. Butler wird mit einer diskursiv-anthropozentrischen Perspektive (Karen Barad) identifiziert und Stengers steht für einen „spekulativen Konstruktivismus“, der sich durch eine Offenheit für das Wundersame, Überraschende und Eigensinnige der untersuchten matters auszeichnet, der in der Materialität eine „power of wonder“ erkennt.
Mit Stengers steht das Subjekt nicht einer Natur gegenüber, sondern ist Teil der Natur. Unser Handeln ist Teil eines komplexen Gefüges, welches durch unser Agieren nachhaltig beeinflusst wird, das wir aber nicht kontrollieren können. Auch jedes Ereignis ist Teil eines Zusammenhangs, eines Milieus, auf das eine Praktik bezogen ist und durch das es sich realisiert. Jede Praktik ist singulär, einzigartig in ihrer Emergenz und in ihrer Wirkung. Für Stengers ist eine „Ökologie der Praktiken“ deshalb auch ein Werkzeug für ein Denken des Kommenden. Ein Denken, das auf die ereignishafte Potenzialität der Materialität gefasst ist. Butler und Athanasiou vertreten im Unterschied dazu, die Idee wechselseitiger Abhängigkeit von Leben, die ineinander eingelassen sind. Sie versprechen sich davon ein „Prinzip der Gleichheit und Verbundenheit.“ (Butler, 151) Die Abhängigkeit begründet unsere Verwundbarkeit (Butler, 17) Mit dieser geht eine Perspektive einher, welche „die Verwundbarkeit der anderen erkennt und durch sie affiziert ist.“ (Athanasiou, 162)
In ihren konkreten Verfahren der Machtkritik können Butler/Athanasiou und Stengers als fast gegenläufig betrachtet werden: Die Verpflichtung zum Widersprechen beziehen Butler/Athanasiou auf das Selbst und fordern es auf, aus seiner zeitlichen und räumlichen Ordnung herauszutreten: Das Selbst sei zu einer Reflexivität verpflichtet, die seiner Beziehungsförmigkeit und gesellschaftlichen Verfertigung Rechnung trägt und sich einem bloßen Selbstbezug zu Gunsten eines ‚Miteinander-Werdens’ entgegenstellt. In der Perspektive der Wissenschaftstheorie richtet sich Stengers Vorschlag eines Widersprechens hingegen auf die Analyse von Praktiken in ihrer zeitlichen und räumlichen Situiertheit und Verflochtenheit. Sie plädiert also für ein ‚Hineintreten’ in einen spezifischen Zusammenhang.

Aus dieser Gegenüberstellung lassen sich folgende Fragen ableiten, die im Rahmen der Sommerakademie diskutiert werden sollen:
In welchem Verhältnis steht relationales Denken zu politischem Handeln? Welche Handlungsräume werden eröffnet, wenn Handlung, Widerstand oder Denken ökologisch, d.h. in ihrer Umweltlichkeit (und nicht subjektbezogen) gedacht werden? Anders gefragt, kann Relationalität Widerstand produzieren? Gegen wen/was richtet sich Widerstand, der sich als Teil eines Milieus artikuliert?
Inwieweit ist innerhalb eines relationalen Denkens oder der Idee wechselseitiger Empfänglichkeit, wie Butler/Athanasiou sie vorschlagen, Widerstand zu begreifen, ohne die Dynamik dieser Denkmodelle zugunsten einer erneuten Enteignungsfigur aufzuheben? Kann Widerstand in der doppelten Figur der Enteignung – d.h. zum einen als herrschaftsbegründend wie subjektkonstituierend und zum anderen als beraubend und gewaltsam entziehend – begründet werden? Ist die Eröffnung eines Re-Signifikationsprozesses an die aus der eröffnenden Differenz entstehenden Orte bzw. Situationen, von dem/der aus gesprochen, gehandelt, resignifiziert werden kann, gebunden?
Eröffnet die Retransformation der „matters of fact“ in „matters of concern“ (Stengers) und mithin die Situierung der Betroffenheit eine Möglichkeit in einem radikal relationalen Denken widerständig zu sprechen, zu handeln und den situierten Einzelfall zugleich in Relation zum Milieu zu sehen? Inwiefern aber kann ein solches Denken des Werdens oder der Potenzialität, wie Stengers dies beschreibt, in Werkzeuge für konkrete Positionierungen und politische Aktualisierung übersetzt und insofern in konkret zu beschreibenden Teilhabeprozessen (des Mit-Seins, Mit-Sinns oder Mit-Teilens, vgl. Jean-Luc Nancy) gedacht werden?
Inwieweit legen beide theoretischen Positionen vielmehr eine Problemlage offen, als dieser ein neues Modell entgegenzusetzen? Oder, was gewinnen wir von Butlers/Athansious bzw. Stengers Konzeption für ein Denken des Widerstands und der Teilhabe?

Grundlage der Diskussion im Rahmen der Sommerakademie sind folgende Texte:
- Judith Butler/Athēna Athanasiou: Die Macht der Enteigneten. Das Performative im Politischen. Zürich/Berlin: diaphanes 2014, Kapitel 1, 2, 6 und 13.
- Isabelle Stengers: The Cosmopolical Proposal. In: Bruno Latour/Peter Weibel (Hrsg.): Making Things Public. Karlsruhe: ZKM 2006, S. 994-1003.
- Isabelle Stengers: Stengers: Introductory Notes on an Ecology of Practices. In: Cultural Studies Review, 11/1 (2005), 183-196.
Interessierte TeilnehmerInnen werden gebeten, in einem 2-3-seitigen Diskussionspapier – mit Bezug auf die genannten Texte – zu den Möglichkeiten des Widerstands in relationalem Denken Stellung zu nehmen. Der Call richtet sich in erster Linie an DoktorandInnen und PostdoktorandInnen. Das Papier schicken Sie bitte mit einer kurzen biobibliographischen Notiz (ca. eine halbe Seite) bis zum 31. Mai 2017 als pdf-Datei an robert.stock[at]uni-konstanz.de.

Programm

Das Programm wird zeitnah unter https://mediaandparticipation.com/ veröffentlicht.

Kontakt

Robert Stock

Medienwissenschaft, Universität Konstanz Fach 157
78457 Konstanz

robert.stock[at]uni-konstanz.de